Wie ein Erdbeben in Russland uns um unser Boot in Tahiti bangen ließ

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Wir lagen noch im Bett und scrollten durch die neusten Schlagzeilen, als eine Nachricht uns innehalten ließ:

„Erdbeben der Stärke 8,8 erschüttert die Halbinsel Kamtschatka – Tsunamiwarnungen im gesamten Pazifik.“

Moment mal, auch in Französisch-Polynesien? Ist unser Boot auf Tahiti in Sicherheit?

Das Beben hatte sich bereits am Vorabend ereignet, am 29. Juli um 19:25 Uhr EDT, in der Nähe von Petropawlowsk-Kamtschatski, einer abgelegenen Stadt auf der russischen Halbinsel Kamtschatka. Mit einer Stärke von 8,8 war es das sechststärkste jemals von modernen Instrumenten aufgezeichnete Beben.

Das Erdbeben ereignete sich in einer Subduktionszone, auch Abtauchzone genannt, in der die Pazifische Platte unter die Nordamerikanische Platte geschoben wird. Diese tektonische Kollisionszone, ist für einige der stärksten Erdbeben der Welt bekannt. Diesmal riss ein gewaltiger Abschnitt, etwa 390 km lang und 140 km breit, der Bruchstelle in der Erdkruste (Verwerfungslinie), auf. Das Beben fand in nur 19 km Tiefe statt, also sehr weit an der Erdkrusten-Oberfläche. Diese geringe Tiefe ist entscheidend, denn sie erlaubt eine stärkere vertikale Verschiebung des Meeresbodens und genau das ist notwendig, um einen Tsunami auszulösen.

Warum ein Erdbeben in Russland für ein Boot auf Tahiti wichtig ist

Tsunamis sind anders als normale Wellen. Sie entstehen nicht durch Wind, sondern durch plötzliche Bewegungen des Meeresbodens, zum Beispiel wenn ein Stück des Ozeanbodens bei einem Erdbeben nach oben gedrückt wird. Diese Bewegung verdrängt riesige Wassermassen und führt zu Wellen die sich über den ganzen Ozean ausbreiten.

Im Gegensatz zu normalen Oberflächenwellen, die nur die oberste Wasserschicht bewegen, durchqueren Tsunamiwellen die gesamte Wassersäule, vom Meeresboden bis zur Oberfläche. Deshalb können sie sich so weit und so schnell ausbreiten, mit bis zu 800 km/h, also in etwa der Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs. Und dabei verlieren sie kaum Energie.

Als das Erdbeben einsetzte, galten die Tsunamiwarnungen also nicht nur für Russland. Sie wurden im gesamten Pazifikraum ausgegeben: für Japan, Hawaii, Alaska, Chile und Französisch-Polynesien. Besonders auf den Marquesas-Inseln wurde Alarmstufe Rot ausgerufen. Die Bewohner wurden aufgefordert, sich in höhere Lagen zu begeben, da Wellenhöhen von bis zu 2,5 Metern möglich seien.

Was kann man tun, wenn das eigene Boot in einer Tsunami-Zone liegt?

Tsunamis sind besonders gefährlich in Häfen. Die engen, flachen Becken verstärken die Wellenhöhe und bündeln die Energie. Das macht es leichter für vertäute Boote, sich loszureißen, zusammenzustoßen oder sogar an Land gespült zu werden.

Paradoxerweise sind Boote auf offener See oft sicherer. In tiefem Wasser hebt ein Tsunami die Wasseroberfläche manchmal nur um wenige Centimeter, die Welle zieht unter dem Rumpf hindurch, fast unbemerkt. Aber das gilt nur, wenn das Boot bereits draußen auf dem Meer ist. Ist man im Hafen, wenn die Warnung kommt, ist es meist zu spät, um noch sicher auszulaufen und zu gefährlich, es zu versuchen.

Für uns gab es nur eines zu tun: abwarten und hoffen. Wir waren tausende Kilometer entfernt, in Colorado, und konnten nichts tun. Wären wir vor Ort gewesen, hätten wir Tauha vielleicht noch in tiefes Wasser segeln können, aber das waren wir nicht. Sie lag vertäut an ihrer Mooringboje und war völlig außerhalb unserer Reichweite.

Wie ist es ausgegangen?

Zum Glück fielen die Tsunamiwellen, die die Marquesas erreichten, kleiner aus als befürchtet. Sie waren weniger als 1,5 Meter hoch. Noch am selben Tag hoben die Behörden die Warnung wieder auf, rieten aber weiterhin zur Vorsicht.

Auf Tahiti blieb alles relativ ruhig. Tauha war unversehrt und auch unsere Nerven beruhigten sich allmählich.

Die Wissenschaft hinter dem Beben

Dank globaler seismischer Netzwerke wie dem Advanced National Seismic System (ANSS) wurde dieses Erdbeben weltweit von Seismographen aufgezeichnet. Diese Instrumente messen Bodenbewegungen mithilfe einer Masse, die an Federn aufgehängt ist. Wenn sich die Erde bewegt, bleibt die Masse aufgrund ihrer Trägheit zunächst still und Sensoren registrieren die Bewegung der Erde relativ zur Masse.

Die so entstehenden Aufzeichnungen nennt man Seismogramme. Sie helfen Wissenschaftler*innen dabei, schnell den Ort, die Tiefe und die Stärke eines Bebens zu bestimmen. Zur Messung der Stärke wird heute die Momenten-Magnituden-Skala (Mw) verwendet. Sie ist präziser als die frühere Richterskala, besonders bei starken Beben wie diesem, da sie die gesamte freigesetzte Energie berücksichtigt und nicht nur die stärkste Erschütterung an einem einzelnen Ort.

Doch bei diesen Erdbeben waren Wellen nicht die einzige Seitenerscheinung. Wenig später begann der Vulkan Kljutschewskoi, etwa 450 km vom Epizentrum entfernt, auszubrechen. Das ist nicht ungewöhnlich: Wenn ein Vulkan bereits mit Magma und Druck „geladen“ ist, kann ein Erdbeben wie ein Auslöser wirken. Es ist fast so als würde man den Deckel einer geschüttelten Sektflasche öffnen.

Warum war die Tsunamiwellen nicht schlimmer?

Dazu haben vermutlich mehrere Faktoren beigetragen. Die Höhe von Tsunamiwellen hängt nämlich nicht allein von der Stärke des Bebens ab. Auch die genaue Tiefe des Bruchs, die Form des Meeresbodens und die Topografie der Küsten bestimmen, wie viel Wasser verdrängt wird und wie sich die Wellen beim Eintreffen verhalten.

In diesem Fall vermuten Wissenschaftler*innen, dass die Tsunami-Modelle welche zur Vorhersage genutzt werden, eher konservative Annahmen verwendet haben, was insgesamt eine gute Sache ist. Lieber früh warnen, als später überrascht werden.

Ein stilles Boot, eine bewegte Erde

Für uns war dieses Ereignis ein Crashkurs in Plattentektonik, Tsunami-Physik und Bootssicherheit, verpackt in einem langen, nervenaufreibenden Morgen. Man vergisst leicht, wie eng die Naturgewalten miteinander verbunden sind, bis ein Beben auf der anderen Seite der Welt dich dazu bringt, Gezeitenkarten und Hafen-Webcams im Südpazifik zu checken.

Erdbeben mögen lokal sein, doch ihre Auswirkungen reichen weit. Und wenn man mit einem Fuß an Land und dem anderen auf dem Meer lebt, muss man wachsam bleiben, für Wind, Wellen, und manchmal sogar für verschobene Erdplatten am anderen Ende des Planeten.

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